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Stadt Meckenheim erinnert an die Pogromnacht 1938

Meckenheim – Gedenkstunde auf dem Synagogenplatz und Schweigemarsch zum jüdischen Friedhof. Erstmals hat die Stadt Meckenheim am Tag der Reichspogromnacht an zwei unterschiedlichen Orten an die Zerstörung und Brandschatzung von jüdischen Synagogen, Geschäften und Häusern erinnert und der Opfer gedacht. Am Gedenkstein auf dem Synagogenplatz richteten sich neben Bürgermeister Holger Jung die Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 9 und der Einführungsphase des Meckenheimer Konrad-Adenauer-Gymnasiums mit eindringlichen Worten an die Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung. Auch die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bonn, Dr. Margret Traub, trug einen bewegenden Text vor. Im Anschluss an die Kranzniederlegung zogen die Teilnehmenden in einem Schweigemarsch zum jüdischen Friedhof, wo die Gedenkstunde mit dem Gebet des Rabbiners Samuel Shentag würdevoll endete.

„Mir war und ist es ein Bedürfnis, den jüdischen Friedhof an der Dechant-Kreiten-Straße an einem solchen Tag wieder mehr in das Bewusstsein der Bürgerschaft und der Öffentlichkeit allgemein zu rücken“, sagte der Bürgermeister eingangs und begrüßte zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, die der Einladung zum gemeinsamen Gedenken gefolgt waren. Jung erinnerte an die vom NS-Regime gelenkten Gewaltexzesse im November 1938, die Wegbereiter der systematischen Verfolgung und Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland und Europa waren, und an das Schicksal der Jüdinnen und Juden in Meckenheim. Von ihnen lebten im Jahr 1933 noch 65 Menschen in Meckenheim. Einige ergriffen in den Folgejahren die Flucht vor der Nazi-Tyrannei. Diejenigen, die blieben, wurden zunehmend ausgegrenzt, entrechtet, geächtet, verschleppt und ermordet. Im Februar 1942 erhielten die letzten 19 noch verbliebenen Meckenheimerinnen und Meckenheimer jüdischen Glaubens die Aufforderung, sich in das Sammellager nach Bonn-Endenich zu begeben. „Niemand von ihnen kehrte in die Heimat zurück“, erklärte Holger Jung und ging näher auf das Schicksal der Juhls ein, eine honorige Meckenheimer Familie, deren Flucht nach Amsterdam leider vergeblich war. Denn sieben Jahre später wurden Lina und Benedikt Juhl nach Sobibor deportiert und ermordet.

„84 Jahre nach der Pogromnacht und 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist das Gedenken von bedrückender Aktualität“, nahm der Bürgermeister Bezug zum kriegerischen Überfall des russischen Aggressors auf die Ukraine. „In diesem Krieg ist sogar bereits einseitig der Begriff des ‚Holocaustes‘ gefallen und in schändlicher Weise missbraucht worden. Diese Geschichtsvergessenheit und -verfälschung ist kaum zu ertragen“, bekräftigte der Bürgermeister.

Dass sich die Stimmung hierzulande aufzuladen droht und der Zusammenhalt der Gesellschaft in Gefahr ist, verfolgt er mit Sorge. „Rechtspopulisten, Antisemiten und Rassisten versuchen aus den Krisenzeiten Profit zu schlagen. Nahmen sie vor kurzem noch die Corona-Politik zum Anlass, um mit abstrusen Argumenten unsere demokratische Grundordnung in Frage zu stellen, sind es jetzt die steigende Inflation und die Energiekrise mit entsprechenden Kostenlasten, die sie zum Angriff auf das politische System blasen lassen“, erklärte Jung, der eindringlich vor einer Wiederholung der Geschichte warnte. „Hassprediger, Demagogen und eine ihnen zustimmende, aufgehetzte Masse, die sich wie ein brauner intoleranter Strom über die Republik wälzt – Das, meine Damen und Herren, hatten wir schon einmal. Ein weiteres Mal darf es nicht geben!“

Ausdrücklich appellierte er: „Beziehen Sie eindeutig Position und zeigen Sie klare Kante, wann immer Ihnen Antisemitismus, dumpfe Vorurteile gegen andere Religionen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus begegnen. Machen Sie sich stark für Toleranz und Respekt – in den Familien, im Freundeskreis, im Beruf, in der Freizeit und im Alltag. Weghören, Gleichgültigkeit, Unmündigkeit und mutwillige Blindheit sind die ersten Handlanger eines schleichenden Prozesses, der im schlimmsten Fall in Straftaten mündet.“

Zwar trifft die Nachkriegsgeneration keine Schuld an den entsetzlichen Gräueltaten. „Doch tragen wir Verantwortung gegenüber der Geschichte unserer Nation. Die Erinnerung an die fürchterlichen Verbrechen von damals – an den abscheulichen Völkermord – darf niemals aufhören“, sagte der Bürgermeister. „Wir sind verpflichtet, antijüdischen Vorurteilen zu widersprechen und antijüdischen Angriffen zu widerstehen. Das ist unsere Bürgerpflicht, die Pflicht einer jeden aufrechten Demokratin, eines jeden aufrechten Demokraten – heute und in der Zukunft!“

Die Schülerinnen und Schüler des Konrad-Adenauer-Gymnasiums trugen Zeitzeugenberichte vor, die unter die Haut gingen. Unterstützt von ihrer Lehrerin Christina Eilers hatten sie mit großem Engagement ihr Programm selbst gestaltet und eigene Worte für die Geschehnisse von vor 84 Jahren gefunden. „Die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse werden auch in Zukunft wachgehalten“, dankte Holger Jung den Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. „Ihr habt sehr eindringlich Eure Gefühle vermittelt und Eure Gedanken wiedergegeben. Das war sehr beeindruckend“, so der Bürgermeister, der Dr. Margret Traub, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bonn, und weitere Mitglieder der jüdischen Gemeinde herzlich begrüßte. Auch sie wandte sich mit erschütternden Berichten und mahnenden Worten an die Besucherinnen und Besucher der Gedenkveranstaltung. „Der 9. November 1938 war eine Detonation von Sadismus, von Vandalismus, Mordlust und Menschenfeindlichkeit“, sagte sie. „Die Reichspogromnacht war weder Anfang noch Höhepunkt der Judenverfolgung in der Nazizeit. Sie war jedoch der Anfang der systematischen Judenverfolgung, die drei Jahre später in den Holocaust mündete – eine Explosion unzivilisierter und inhumaner Enthemmung, Pogrom pur, überall in Deutschland.“ Immer noch wabert der Antisemitismus, jedoch nicht am Rande der Gesellschaft. Antisemitismus sei tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft. „Können Sie sich vorstellen, wie ich mich fühle, wenn ich meine Söhne darum bitte, ihre Kopfbedeckung – ihre Kippa – auf der Straße nicht zu tragen, damit sie nicht angegriffen werden?“ Mit Bezug auf die Vorfälle der letzten Monate, auf die über 2.700 erfassten antisemitischen Taten im vergangenen Jahr fragte Dr. Traub abschließend: „Können Sie sich vorstellen, welche Erinnerungen diese heutigen Verbrechen in uns Juden auslösen? Können Sie sich vorstellen, wie wir Juden uns fühlen, wenn Juden auf der Straße physisch angegriffen und krankenhausreif geschlagen werden?“

Diese tieferschütternden Worte lösten einen Moment der Stille aus, bevor Bürgermeister Holger Jung, seine erste Stellvertreterin Ariane Stech und Dr. Margret Traub den Kranz niederlegten und der Opfer der Pogromnacht am Gedenkstein gedachten. Der anschließende Schweigemarsch auf den jüdischen Friedhof und der Gebetsvortrag des Rabbiners Samuel Shentag bildeten den würdigen Abschluss der Gedenkveranstaltung, die erstmals an zwei unterschiedlichen Orten stattgefunden hatte.