Wachtberg – Der Wachtberger Kinetikkünstler und Kunstmaschinist (diesen Begriff prägte unlängst GA-Feuilletonist Thomas Kliemann) Willi Reiche wird in der Region, insbesondere in der Gemeinde Wachtberg, mit dem Wachtberger Drachen namens „Godart“ in Verbindung gebracht. Im Jahr 2019 hatte der Förderverein für Kunst und Kultur in Wachtberg e. V. ein Schulprojekt initiiert, um der Gemeinde Wachtberg anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens ein ganz besonderes Geschenk zu übereignen:
Eine dreidimensionale Drachenskulptur. Diese Skulptur ist über einen Zeitraum von insgesamt 111 Arbeitstagen gemeinsam mit Schülern aus der Gemeinde in Schweißtechnik erstellt worden. Der Wachtberger Künstler Willi Reiche, auf dessen Grundstück der Drache entstanden ist, hat die technische und künstlerische Leitung des Schulprojektes übernommen. Als Schulprojekt und angesichts des Standortes als „Kreiselkunst“ für Reiche ein Ausnahmeprojekt, denn hier handelt es sich um eine figürliche, geradezu naturalistische Darstellung ohne den Aspekt der Kinetik.
„Visitenkarte“ der Gemeinde
Wer heute den Kreisverkehr am Einkaufszentrum Berkum in Wachtberg passiert, macht Bekanntschaft mit dem aufrecht stehenden, mehr als fünf Meter hohen eisernen Drachen, der Richtung Drachenfels im Siebengebirge blickt. Denn der Name des Wachtberger Drachen bezieht sich auf den Ritter Godart von Drachenfels, welcher auf dem rechtsrheinischen Drachenfels residierte und von dort aus das linksrheinische „Drachenfelser Ländchen“ verwaltete, bevor er 1402 den Familiensitz in die Wasserburg Gudenau bei Villip verlegte. Auf dieses Rittergeschlecht ist es zurückzuführen, dass ein Drache das Wappen der Gemeinde Wachtberg ziert.
Galt bisher die „weiße Kugel“ des Fraunhofer Instituts, das weithin sichtbare Radom, als DAS Wahrzeichen der Gemeinde, so hat doch der Drache „Godart“ nach dessen feierlicher Einweihung im September 2019 sehr schnell die Herzen erobert und ist zur allseits geliebten Identifikationsfigur geworden. Aber nicht nur die Wachtberger schätzen dieses rostrote Wesen mit scharfen Zähnen, aber höchst sympathischem Blick. Auch unter Ausflüglern hat sich dieses Wahrzeichen schnell herumgesprochen, ist zum Treff- und Ausgangspunkt für Wanderungen und Radtouren und reizvollem Fotomotiv geworden. Und selbst in der Vogelwelt erfreut sich die Skulptur großer Beliebtheit; als ungestörter Aussichtsplatz – und sogar als sicherer Nistplatz im Inneren. Denn die luftige Bauweise bietet kleineren Vögeln wie Sperlingen reichlich „Schlupflöcher“ durch die schuppenartig angelegte Oberfläche des Drachen aus sogenanntem Gratschrott. Das ist ein Hammerwerksabfall, der beim Gesenkschmieden entsteht und normalerweise als Wertstoff wieder eingeschmolzen, recycelt, wird.
Stoffliche Aufwertung durch „Upcycling“
Eine typische Vorgehensweise und gleichzeitig „Markenzeichen“ des Wachtberger Künstlers Reiche ist aber die direkte Umnutzung von Materialien und Dingen im Sinne einer Aufwertung.
Diese Art der Aufwertung, die heute – auch in der Kunst – gerne als „Upcycling“ bezeichnet wird, betreibt Willi Reiche als Künstler schon seit 1982: Zunächst bei seinen Assemblagen, Installationen, Objet trouvés und Möbelunikaten. Und seit 1998 mit dem Bau von kinetischen Objekten beziehungsweise Kunstmaschinen, die mittels Elektromotoren, Gravitation, Muskel- oder Windkraft angetrieben werden. Allen Werken ist eines gemeinsam: Reiche bringt das Material seines scheinbar unerschöpflichen Fundus dazu, in einem atypischen Kontext neu interpretiert außergewöhnliche Geschichten zu erzählen. Gegenstände, die in ihrer ursprünglichen Form ausgedient haben, nicht mehr zeitgemäß sind, als defekt und unbrauchbar ausrangiert wurden, erwachen in Reiches Kunstmaschinen zu neuem Leben, humorvoll arrangiert, mitunter skurril bis grotesk inszeniert. Und immer mit einer besonderen Ästhetik und stilvollen Konstruktion, die diese eigentlich nutzlosen Maschinen zu Kunstmaschinen mit charmanter Ausstrahlung werden lassen.
Die Auslegung zumeist humorvoller Andeutungen überlässt Reiche gerne den Rezipienten. Je mehr Details bei der Betrachtung seiner Kunstmaschinen entdeckt werden, je öfter der ausgestreckte Zeigefinger auf einen speziellen Gegenstand weist und dieser enträtselt wird, umso größer die Freude beim Kunstmaschinisten Willi Reiche. Denn seine – in ihrer Funktion als Maschinen sinnfreien – Objekte ziehen ihre Betrachter in den Bann nachvollziehbarer mechanischer Bewegungsabläufe, kontemplativer Ruhe und harmonischer Kompositionen. Und – wer über eine entsprechende Portion Humor verfügt – reagiert unweigerlich erheitert auf die oftmals hochgradig absurden Konstruktionen.
Reiches kinetisches Werk: online, live und print
Der Wachtberger Drache „Godart“ trägt als Schulprojekt und „Kreiselkunst“ nur bedingt die „Handschrift“ des Kinetikkünstlers Willi Reiche. Wer dessen kinetisches Werk kennenlernen möchte, kann sich über die Websites www.kunstmaschinen.de und www.kunstmaschinenhalle.de informieren oder nach vorheriger Terminvereinbarung und gemäß den aktuell geltenden Corona-Bestimmungen die Kunstmaschinenhalle oberhalb von Remagen besuchen. Unabhängig von möglichen Corona-Einschränkungen sei hier der Bildband „KUNSTMASCHINEN Willi Reiche“ empfohlen, ein reich bebilderter Kunstkatalog mit Beschreibungen der einzelnen Kunstmaschinen und einem Glossar, in dem die wenig geläufigen Fachbegriffe und Bestandteile nachvollziehbar erklärt werden. Als Vorwort liefert Max Moor ein Statement zu Reiches Kunstmaschinen und zum „Sinn der Kunst“, die Einleitung von Dr. Helga Stoverock betrachtet Reiches Werk aus kunsthistorischer Sicht. Der amüsant-unterhaltsame und klar gegliederte Katalog ist ein schönes Geschenk – für sich selbst und andere – ganz ohne Lieferengpässe kurzfristig erhältlich.
ISBN: 978-3-00-068032-8 und Detailinfos:
https://www.buchhandel.de/buch/KUNSTMASCHINEN-9783000680328
Bestellformular: https://kunstmaschinen.de/katalog/