Kall – Zerstörung, Trauer und Solidarität, aber auch Wiederaufbau, Hoffnung und Zusammenhalt – „Es war Freitag, der 16. Juli 2021. Der Himmel war blau, ein paar Wolken. Es war warm, und der Tag versprach ein wunderbarer Sommertag zu werden – zumindest am Himmel.“ Mit diesen Worten erinnerte Ina Scharrenbach, NRW-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung, beim Gedenkfest der Gemeinde Kall an die Flutkatastrophe vor gut drei Jahren. Denn, so sprach die Ministerin weiter: „In der Hälfte der nordrhein-westfälischen Kommunen sah das auf der Erde anders aus.“ Ina Scharrenbach war damals – ganz ohne Kameras und in Gummistiefeln – schon am 2. Tag nach der Flutnacht u.a. nach Kall gekommen, machte sich vor Ort ein Bild und sprach mit den Menschen.
Darauf war zuvor auch Pfarrer Hajo Hellwig zu Beginn der Gedenkveranstaltung auf dem Bahnhofsvorplatz bei einem ökumenischen Gottesdienst eingegangen, den er gemeinsam mit Pastor Christoph Ude zelebrierte.
Pfarrer Hellwig war, so berichtete Bürgermeister Hermann-Josef Esser später, mit dem Pastorat selbst von der Flut betroffen.
Der Geistliche erinnerte an die Nacht, den langen Regen, der langsam die Straßen füllte und Treppen hinaufstieg, gurgelte und rauschte – und schließlich alles mit sich riss. „Menschen verloren ihre Heimat, kämpften um ihr Leben oder das von Angehörigen oder Fremden“, so Pfarrer Hellwig und führte fort: „Und dann kamen die ersten Helfer, Nachbarn zunächst, dann Angehörige und schließlich zahlreiche Helfer/innen.“ Pastor Ude ergänzte, dass wenn auch viele äußerliche Wunden verheilt und Schäden behoben seien, die Flutnacht sich den Menschen auch in Kall ins Gedächtnis und in die Seele gebrannt habe. Er appellierte auch dafür, solidarischer mit unserem Lebensraum umzugehen: „Als ein Teil der Schöpfung Gottes können wir nur mit ihr leben, nicht gegen sie.“
Im Rahmen des Gottesdienstes entzündete Ministerin Scharrenbach gemeinsam mit Landrat Markus Ramers sowie Bürgermeister Hermann-Josef Esser drei Kerzen. Sie standen für die drei Menschen aus Kall, die in der Nacht auf den 15. Juli 2021 ums Leben gekommen waren. Einen stimmungsvollen Rahmen dazu schuf der Chor St. Nikolaus um Kantorin Holle Goertz, der den Gottesdienst begleitet.
„Ich freue mich besonders“, so Bürgermeister Hermann-Josef Esser, „dass so viele Menschen hier sind, die selbst von der Flut betroffen waren.“ Und, in Richtung der anwesenden Mitglieder der Feuerwehr sowie weiterer Hilfsorganisationen wie DLRG, Bundeswehr, Diakonie und Malteser: „Auch viele derer, die am 14. Juli und in den Tagen danach Herausragendes geleistet haben.“ Darunter auch die Feuerwehr aus Bredenbeck, die zum Gedenkfest eine Abordnung gesandt hatte.
Neben all jenen galt sein Dank auch seinem Team in der Verwaltung: „Wir hatten kein Rathaus mehr“, blickte Esser zurück, „keinen Strom, kein Wasser, keine EDV, das Erdgeschoss war völlig zerstört.“ Dennoch sei der Dienst an den Kaller Bürger/innen unmittelbar wiederaufgenommen worden. Der Bürgermeister erinnerte auch an den vielfältigen Einsatz des Bauhofs, inklusive der Einrichtung eines Spendenlagers in Kooperation mit der Firma Brucker. Für die Organisation des Gedenkfestes dankte der Bürgermeister Rathausmitarbeiterin Laura Möhrer.
Die Unterstützung der Landesregierung, allen voran Ministerin Ina Scharrenbachs „auch hinter den Kulissen“ im Rahmen des Wiederaufbaus wertschätzte der Bürgermeister mit den Worten: „Das ist nicht selbstverständlich.“
Dem schloss sich auch Landrat Markus Ramers an und verwies auf über 30 Milliarden Euro, die Bund und Land für den Wiederaufbau bereitgestellt hätten. Für die Gemeinde Kall, konkretisierte Ministerin Scharrenbach, waren insgesamt rund 86,5 Millionen Euro insb. für die gemeindliche Infrastruktur und flutbetroffene Privatpersonen bewilligt worden. Dieser Betrag, so die Ministerin, soll nun wie in allen NRW-Kommunen um jeweils 10 Prozent aufgestockt werden zur Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen. Schließlich hielt sie fest: „Dies ist auch ein Tag, an dem Sie stolz sein dürfen auf das Erreichte in den letzten drei Jahren – denn das ist eine ganze Menge.“
Landrat Markus Ramers betrachtete die Geschichte der Flut „auch als eine Geschichte der Solidarität und der Hoffnung“. Er erinnerte auch an die Kaller Feuerwehr, die in der Flutnacht ihr Gerätehaus verlor und die Einsätze aus einer provisorischen Einsatzzentrale heraus koordinierte. „Trotzdem haben Sie – oft selbst von der Flut betroffen – nur daran gedacht, wie Sie den Menschen in Kall helfen können“, sprach er in Richtung des Kaller Wehrleiters Harald Heinen. Ähnliches gelte auch für die Solidarität in Nachbarschaften und von fremdem Helfern. Ramers ermutigte die Kaller/innen mit der Zuversicht auf diese Gemeinschaft, hoffnungsvoll in die Zukunft zu gehen.
Symbolisch schien da, was nun folgte: Gemeinsam eröffneten Land, Kreis und Kommune im Beisein auch von Manfred Poth, in der Kaller Verwaltung federführend zuständig für den Wiederaufbau, und Projektleiter Christoph Graf die gerade wiederaufgebaute Brücke Weiherbenden.
Mit der Musikkapelle Kall um den Vorsitzenden Stefan Reinders und unter der Leitung von Friedhelm Schorn ging das Gedenken über in ein Bürgerfest. Für den Getränkeausschank sorgte die KG „Löstige Bröder“, fürs leibliche Wohl zudem „Luis Imbiss“ und das Café Linn nebst den anliegenden Geschäften. Während des gesamten Festes bot das Rewe-Center ein buntes Kinderprogramm. Die Erlöse aus dem Flut-Gedenkfest gehen als Spende an die Hilfsgruppe Eifel.
Dass auch die Ministerin und der Landrat noch erstaunlich lange mit den Kaller/innen feierten, fiel manch einem positiv auf. Da schien sich einmal mehr zu bewahrheiten, was Ministerin Scharrenbach zuvor über Kall gesagt hatte: nämlich, dass hier „dem sichtbaren Chaos Geborgenheit entgegengebracht wurde, dass der sichtbaren Zerstörung Zusammenhalt entgegengebracht wurde und dass gegen Einsamkeit Gemeinsamkeit gestellt wurde.“