Mechernich-Kommern – Bei der Vorstellung des „Anne Frank-Erinnerungsbaumes“ auf dem Judenfriedhof am Prinzenweg auch an ermorderte Kinder aus Kommern gedacht – Marienschülerinnen legten Gedenksteine nieder – Gemeinsames Lied „Shalom Chaverim“ (hebräisch „Frieden, Freunde“) zur Musik von Dr. Nicole Besse.
Ergreifend, wie es ein Gottesdienst nur sein kann, war Sonntagmittag die Feier zur Vorstellung des Anne-Frank-Gedächtnisbaumes auf dem jüdischen Friedhof am Kommerner Prinzenweg. Eine knapp hundertköpfige Gemeinde war der Einladung der Projektgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ um Gisela und Wolfgang Freier, Rainer Schulz und Elke Höver gefolgt.
Das Kastanienbäumchen ist ein Nachfahre jener Kastanie, die Anne Frank aus ihrem Amsterdamer Versteck sehen konnte und über die sie in ihrem weltberühmten Tagebuch mehrfach schrieb, so am 18. April 1944: „Unsere Kastanie ist schon ziemlich grün, und hier und da sieht man schon kleine Kerzen…“
Am 4. August wurden Anne, die ganze Familie Frank und vier andere Juden verraten und verhaftet, die sich im Amsterdamer Hinterhaus versteckt hielten und zunächst in Westerbork interniert wurden. Anne Frank starb im Frühjahr 1945 mit 16 Jahren im KZ Bergen-Belsen an Thyphus.
Ableger aus Uedelhoven
Das kleine Kommerner Kastanienbäumchen ist ein Ableger jenes Anne-Frank-Baumes aus Blankenheim-Uedelhoven, der direkt vom niederländischen Original stammt und 2019 in Eifeler Boden kam. Die neue Kommerner Kastanie war bereits im November vom Mechernicher Bauhof unter Rainer Metternich gepflanzt worden.
Sie steht nun vis-a-vis zu einer betagten und zurzeit in voller Blüte stehenden Kastanie auf dem jüdischen Friedhof. Der alte Baum mag aus der Zeit stammen, als es am Greesberg noch eine blühende jüdische Gemeinde gab. Den neuen aus Uedelhoven, den die B.U.N.D.-Aktivistin Ursula Gehrke aus Houverath gezogen hat, begleiteten Erwin und Daniel Stein, Klaus Schröder und Familie Fürsatz vom Uedelhovener Bürgerverein nach Kommern.
An Pogrome, Verfolgung, Vertreibung, Deportation und Ermordung der Kommerner Bürger jüdischen Glaubens, besonders von Anne Franks Altersgenossen, die im Holocaust umkamen, wurde in der Feierstunde erinnert. Die letzten Kinder vom Blei- und Greesberg wurden am 19. Juli 1942 vom „Judenhaus“ in der Kommerner Straße abgeholt, nach Köln verschleppt und schließlich im Viehwaggon von der Deutschen Reichsbahn Richtung Minsk in Vernichtungslager deportiert.
Neun Steine am Stammfuß
Fünf Marienschülerinnen aus Euskirchen legten Gedenksteine für die neun bekannten ermordeten Kinder aus Kommern nieder: Magali Borgmann, Elisabeth Galliat, Laura Kips, Alexandra Schmitz und Julia Schultz. Die neun Steine, die jetzt am Stammfuß der neuen Kastanie ruhen, erinnern an die Kinder Edgar und Helga Cohn, Hannah und Ruth Eiffeler, Hilde Herz, Jack Kaufmann, Herbert Levy, Else und Käthe Levin.
Beeindruckende Instrumentalimprovisationen zur Feierstunde spielte die Mechernicher Violinistin Dr. Nicole Besse. Unter die Haut ging besonders das gemeinsam mit der singenden Gemeinde vorgetragene jüdische Friedenslied „Shalom Chaverim“, was mit „Frieden, Freunde…“ übersetzt werden kann.
Die frühere Hauptschullehrerin Gisela Freier, die im Mittelpunkt der Aufarbeitung jüdischen Lebens am Bleiberg steht, erinnerte sich an die Anfänge: „Vor 20 Jahren fragte mich ein Kommerner Junge, als wir gerade das Tagebuch der Anne Frank lasen, ob es in ihrem Dorf auch Juden gegeben habe. Ich sagte: »Das weiß ich doch nicht, ich bin doch nicht von hier, fragt Eure Eltern und Großeltern…«“
So wurde Gisela Freier auf Christine Hiller, eine Zeitzeugin und exzellente Kennerin der Kommerner Kriegs- und Vorkriegszeit aufmerksam. Sie und der damalige Ortsvorsteher und Ratsfraktionsvorsitzende Johannes Ley gingen mit der Lehrerin und ihren Schülern zu den Häusern früheren Juden und zum jüdischen Friedhof. So begann die systematische Erforschung der jüdischen Familien von Mechernich und Kommern und ihrer Schicksale.
Nach dem Ausscheiden Gisela Freiers aus dem Schuldienst und dem Ende der Hauptschule setzt die Projektgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ um sie, ihren Mann Wolfgang Freier, Rainer Schulz und die aus Mechernich-Voißel stammende Euskirchener Marienschullehrerin Elke Höver mit Schülerinnen und Schülern die Arbeit fort.
Den letzten Schluck fürs Baby
Unterstützt werden sie von der Stadtverwaltung Mechernich, deren Vize-Bürgermeister Heinz Schmitz ebenso gekommen war, wie zahlreiche Kommunalpolitiker und der stellvertretende Landrat Leo Wolter vom Kreis.
Mit ihrem Mann Willi präsent war auch Hilla Richarz aus Adenau, die für die Mechernicher Projektgruppe das Bild jenes Viehwaggons der Deutschen Reichsbahn künstlerisch umgesetzt hat, der an der Jerusalemer Gedenkstätte „Yad Vashem“ auf einem Gleis steht, das ins Bodenlose eines Tales abbricht.
In solchen Viehwagen wurden Millionen Menschen mit deutscher Beamtengründlichkeit in den sicheren Tod speditiert, beklagte Gisela Freier die Rolle der deutschen Bahn im Holocaust. Rainer Schulz las den erschütternden Augenzeugenbericht einer Überlebenden, die in einem solchen Viehwaggon ihren letzten Schluck Wasser mit einem ohnmächtigen Baby teilte.