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Stadtwerke Mechernich prüfen Kanalgebühren

Mechernich/Oer-Erkenschwick – Musterprozess eines Bürgers aus Oer-Erkenschwick gegen seine Kommune hat möglicherweise auch Auswirkungen auf die Berechnungsgrundlagen in den übrigen Städten und Gemeinden. „Die Abwasserbescheide für 2022 müssen möglicherweise auch am Bleiberg korrigiert werden“, sagte Erster Beigeordneter Thomas Hambach dem „Bürgerbrief“. Ursache entsprechender Untersuchungen sei ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW in Münster.

Ein Bürger aus Oer-Erkenschwick hatte vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster ein Musterverfahren wegen unzulässiger Berechnungsgrundlagen der Gebühren angestrengt und gewonnen. „Inwieweit jetzt eine Anpassung an die neue Gesetzeslage nötig ist, kann erst auf der Grundlage der konkreten Urteilsbegründung des OVG ermittelt werden“, sagte Teamleiter Dietmar Kluge von den Stadtwerken Mechernich.

Nach Mitteilung des Städte- und Gemeindebundes NRW sei gegenwärtig noch offen, ob die beklagte Kommune Oer-Erkenschwick Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlegt. Im Moment gebe es nur eine Pressemitteilung des OVG mit noch recht pauschalen Aussagen.

Thomas Hambach: „Die Stadt Mechernich hat bis zur Erstellung der Spitzabrechnung Anfang nächsten Jahres genügend Zeit, um die veränderte Gesetzeslage zu prüfen und diese im Gebührenbescheid umzusetzen und zu berücksichtigen.“

Muss Gesetz geändert werden?

Der Mann aus Oer-Erkenschwick hatte gegen die Abwassergebühren geklagt, die seine Stadtverwaltung 2016 erhoben hatte. Das OVG prüfte den Vorwurf und stellte fest, dass die Gebühren im konkreten Fall insgesamt um rund 18 Prozent überhöht waren. Bei 599 Euro Gebühren, die der Kläger bezahlen musste, wären das rund 108 Euro zu viel.

Das Gericht befand, es seien „grundlegende Kalkulationsfehler gemacht worden. Die Abwassergebühren setzen sich aus verschiedenen Faktoren zusammen – neben den anfallenden Betriebskosten unter anderem aus dem sogenannten „Abschreibungswert“ und den aktuellen Zinsen.

Die beklagte Stadtverwaltung hatte bei der Abschreibung der Entwässerungsanlagen immer den Neuwert geltend gemacht. Und sie hatte zu hohe Zinsen zugrunde gelegt. Bislang war diese Rechnung in Kommunen üblich und entsprach auch dem Kommunalabgabengesetz. Durch das OVG-Urteil könnte dieser Passus im Gesetz jetzt kippen – was Konsequenzen nicht nur für Oer-Erkenschwick hätte.

Denn das Urteil gilt jetzt als Musterverfahren und könnte eine Änderung der Landesgesetze zur Folge haben. Was auch Folgen für die Gebührenzahler am Bleiberg hätte. Welche genau, konnten Dietmar Kluge, der Teamleiter der Stadtwerke, und Thomas Hambach, der stellvertretende Stadtverwaltungschef, noch nicht sagen. Möglicherweise sei aber auch hierzulande kalkulatorisch ein zu hoher Zinssatz genommen worden.

Im Kommunalministerium, das letztlich für eine Gesetzesänderung zuständig ist, gibt man sich bislang schmallippig: Das Urteil sei weitreichend und müsse erst intensiv geprüft werden. Aber schon jetzt räumt ein Sprecher ein: „Eine Prüfung schließt auch mögliche Veränderungen an landesgesetzlichen Grundlagen ein“.

Urteilsbegründung abwarten

Allerdings bleibe erstmal abzuwarten, ob Oer-Erkenschwick tatsächlich Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erheben will. Ob das geschehe, dazu könne die Stadt derzeit noch keine Aussage machen, heißt es auf Nachfrage. Zunächst wolle man das schriftliche Urteil einschließlich Begründung abwarten, so ein Sprecher.

Dennoch: Bei den Kommunen in NRW herrsche seit dem OVG-Urteil „Anspannung“, sagt Philipp Stempel, Sprecher beim Städte- und Gemeindebund NRW. Seit 1994 hätten die Kommunen sich bei ihren Gebührenabrechnungen auf das geltende Gesetz gestützt. „Jetzt muss vielleicht alles neu berechnet werden.“

Klar sei: Das Gebührenrecht schreibe vor, dass die Städte bei den Gebühren keinen Gewinn machen dürfen. „Es dürfen nur so viele Gebühren erhoben werden, dass die Kosten der Einrichtung gedeckt sind.“ Bei den Abwassergebühren ist die Materie aber komplex: Bisher gab das Gesetz vor, dass Anschaffungs- und Betriebskosten und auch die Zinssätze der letzten 50 Jahre gemittelt werden, um die aktuellen Gebühren zu berechnen.

Dabei wird der sogenannte „Wiederbeschaffungswert“, also der Neuwert der Technikanlagen, zugrunde gelegt, aber auch die über die Jahre schwankenden Zinsen, die beispielsweise in der 1970er Jahren viel höher waren als heute. „Und: Das Kanalnetz ist in 50 Jahren deutlich gewachsen“, sagt Stempel. Die Kalkulation sei also äußerst kompliziert.

Das OVG kam nun dem Schluss, dass die Kommunen bei der Kalkulation ihrer Abwassergebühren nur die Zinsen der letzten zehn Jahre zugrunde legen dürfen. Bei der Abschreibung vom Wiederbeschaffungszeitwert müssten außerdem die realen Zinsen berücksichtigt werden.

Während Oer-Erkenschwick bisher einen Zinssatz von 6,52 Prozent zugrunde legte, dürfte der laut OVG derzeit nur bei 2,42 Prozent liegen. „Nach Vorlage aller notwendigen Unterlagen werden wir das auch für Mechernich nachprüfen“, so der Erste Beigeordnete.