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„Cassel wird seine Seele verlieren“

Cassel/Ahrtal – Drei Landratskandidaten folgen trotz widriger Wetterverhältnisse der Einladung der Bürgerinitiative nach Cassel. Von Cornelia Weigand nach wie vor keine Spur. Temperaturen um den Nullpunkt, Schneeschauer, eisiger Wind – diesen Herausforderungen stellen sich die drei Landratskandidaten, als sie auf Einladung der Bürgerinitiative „Unser Cassel“ eine große Wiese am Steilhang besichtigen, auf der nach Vorstellung der Gemeinde Heckenbach ein für den kleinen Ort unverhältnismäßig großes Neubaugebiet entstehen soll. Ziel der Ortsbegehung ist es, den Kandidaten zu zeigen, dass bei diesem Projekt weitaus mehr auf dem Spiel steht als es zunächst scheint. Die Initiative stellt klar, dass sie nicht die Schaffung neuen Wohnraums ablehnt, sondern sich hingegen für eine nachhaltige Wohnraumstrategie einsetzt, die sich in ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept für die Gemeinde und den Kreis einfügt. Dabei spielen transparente Bürgerbeteiligung, Naturschutz, Erhalt der lokalen Landwirtschaft und vor allem der Hochwasserschutz eine bedeutende Rolle.

Horst Gies zu Besuch in Cassel. Foto: Privat

Seit über 50 Jahren gilt der kleine Ort als naturnahes Erholungsgebiet für Gäste von nah und fern. Privatleute und auch die ansässigen Betriebe konzentrieren sich seit jeher auf diese strategische Ausrichtung zwischen Landwirtschaft und Naturtourismus. Das höchste Gut des Ortes ist seine Abgeschiedenheit, die Ruhe und Idylle, die umliegende Natur. Mit der Planung, die nun von Bürgermeister und Gemeinderat vorangetrieben wird, „verliert Cassel seine Seele“, wie es einer der Diskussionsteilnehmer treffend formuliert.

Dr. Axel Ritter zu Besuch in Cassel. Foto: Privat

Über 40 Menschen trotzen über drei Tage Eis und Schnee, um bei den Landratskandidaten endlich das Gehör zu finden, das sie bei ihrem Bürgermeister und der Verbandsgemeinde vergeblich suchen.

Den Auftakt zu einem sehr informativen und aufschlussreichen Wochenende macht Christoph Schmitt. Dieser hat vorab ein Gespräch mit Bürgermeister Groß geführt, um sich ein Bild beider Seiten zu machen. Somit begegnet er der Initiative zunächst mit gewisser Skepsis. Schließlich steht er jedoch im Schneegestöber mit einigen Bürgern unterhalb des Pferdezuchtbetriebs Ottersbach und blickt auf das Dorf und das Plangebiet herab. Unbegreiflich ist für ihn, dass die Gemeinde privates Land beplant, ohne die Besitzer mit einzubeziehen. André Ottersbach, dem ein Großteil der Planfläche gehört, die für die Aufzucht seiner Fohlen existenziell ist, beklagt die vorangetriebene Strategie des Bürgermeisters: „Er will das Land erschließen lassen und will uns dadurch zwingen, unsere Wiese zu verkaufen, da die Erschließung für unseren Betrieb nicht tragbar wäre.“ Er zeigt auf den einmalig schönen Hang vor dem Hof, der vor wenigen Jahren in die dritte Generation überging. Die „Fohlenwiese“, wie sie hier genannt wird, ist nicht nur die Visitenkarte des Reiterhofes, sondern auch ortsprägend für das kleine Dorf.

Ein weiteres relevantes Thema ist der Hochwasserschutz. Der Atzbach entspringt in Cassel aus mehreren Quellen unmittelbar unterhalb des Plangebietes, dieser mündet schließlich bei Ahrbrück in die Ahr. Was sie davon halten, dass in Cassel ein so großes Areal im Quellgebiet versiegelt werden soll, werden die Kandidaten für das Amt des Landrates gefragt. Alle sind sie sich einig, dass die potentiellen Auswirkungen dringend analysiert werden müssten. Esther Josten, Sprecherin der Bürgerinitiative, hat schockierende Fotos dabei, die sie den Gästen zeigt. Man sieht einen braunen Bach, der die Hälfte der Straße einnimmt. „Nur ein kleiner Wolkenbruch, kein Dauerregen“, erläutert sie und zeigt auf das Quellgebiet unterhalb ihres Elternhauses. „Und wir sind hier ganz oben. Schon ein paar Kilometer weiter unten hat unser kleiner Bach im Sommer die Häuser geflutet.“

Im weiteren Verlauf des abendlichen Spaziergangs wundert Christoph Schmitt sich zusehends über das Ausmaß des Bauprojektes, vor allem das Gefälle und die damit einhergehenden Erschließungskosten stellen seiner Ansicht nach die Wirtschaftlichkeit des Plans in Frage.

Rechtzeitig vor dem nächsten Schneeschauer steht Glühwein bereit, um den sich zahlreiche beunruhigte Dorfbewohner sammeln. Sie alle wollen die Meinung des Landratskandidaten hören. Dieser betont, dass die offene Kommunikation und der Dialog ganz besonders wichtig sind. Er schlägt eine Dorfmoderation als großartiges Mittel für den gegenseitigen Austausch vor. Auch bietet er den anwesenden Bürgern an, zu vermitteln, sofern ihm das möglich ist.

Am nächsten Tag besucht Dr. Axel Ritter den kleinen Eifelort, auch er trotzt Wind und Eiseskälte, um sich anzuhören, was die Menschen hier beschäftigt. Ganz besonders seine Fachexpertise lässt ihn bei diesem Projekt aufhorchen. Er schaut sich den Planentwurf sehr genau an. Seiner Ansicht nach stellt dieser Plan eine wahrlich „erdrückende Baumasse“ dar, die sich keinesfalls in das Gesamtbild des Dorfes einfügt. Er meint, man müsse viel mehr auf die „behutsame Erweiterung des Ortes“ abzielen, ebenso wie auf die ökologische Ausrichtung des gesamten Kreises. Er setzt sich dafür ein, dass ortsbildprägende Elemente erhalten und geschützt werden müssen, damit die Orte ihre Identität bewahren. Man benötige daher dringend ein ganzheitliches Konzept, sowohl, was den Hochwasserschutz, als auch die Zukunftsentwicklung des Kreises Ahrweiler angeht. Der Initiative rät er, ebenfalls ein klares Konzept zu entwickeln, wo die Bürger ihren Ort und ihre Gemeinde in den nächsten 10 bis 20 Jahren sehen. Eine willkommene Aufwärmung schaffen ein brennendes Feuer, Glühwein und Kaffee im Freien, während auch heute wieder zahlreiche Menschen aus Cassel zusammengekommen sind, um Herrn Dr. Ritters Einschätzung zu hören.

Den krönenden Abschluss des lokalpolitisch geprägten Wochenendes bildet Horst Gies. Ausgestattet mit Spikes unter den Schuhen gegen das Rutschen auf tauendem Schnee, schreitet er flotten Schrittes voran. Auch für ihn ist vollkommen unverständlich, wie eine solche Planung ohne Einwilligung der Landbesitzer vorangetrieben werden kann. Er rät dringend, man müsse die Leute alle mitnehmen. Er bedauert sehr, dass die lokale Landwirtschaft vielerorts im Kreis eben durch solche Projekte zurückgedrängt wird. Selbstverständlich ist ihm die aktuelle Wohnraumnot bekannt, er ist jedoch der Ansicht, dass ein Konsens gefunden werden muss und dass Konzepte vernünftig zusammengeführt werden müssen. Was will man im Dorf? Was will die Bevölkerung? Horst Gies kann die persönliche Verbindung der Menschen zu diesem Ort und der Region sehr gut verstehen, denn was unsere Eltern und Großeltern aufgebaut haben, ist auch für ihn eine Herzensangelegenheit. So ist auch er der Ansicht, dass der Hochwasserschutz Kreissache ist, bei der jedoch alle Menschen im Kreis zusammenarbeiten müssen, denn das Hochwasser beginnt nicht unten im Tal.

Auch an diesem Sonntag haben sich wieder viele Menschen aus dem kleinen Dorf versammelt, es wird viel gelacht, die Stimmung ist locker und sehr persönlich. „Solche Termine sind die wertvollsten“, sagt Horst Gies, als die Casseler sich herzlich bei ihm für seine Zeit bedanken. Zu guter Letzt versichert er den Bürgern, dass er das Gespräch mit dem Heckenbacher Bürgermeister Heinrich Groß suchen wird und verabschiedet sich mit den Worten: „Sie hören von mir!“

Im kleinen Dorf Cassel kehrt nach diesem ereignisreichen Wochenende wieder Ruhe ein. Es wurden zahlreiche großartige Gespräche geführt und viele Ideen gesammelt. Die Bürger sind den drei Landratskandidaten sehr dankbar, dass sie sich die Zeit genommen haben. Die bittere Enttäuschung, dass Cornelia Weigand die Casseler und deren Besorgnis seit nunmehr fast einem Jahr ignoriert, ist nach diesem erfolgreichen Wochenende mit Christoph Schmitt, Dr. Axel Ritter und Horst Gies weitestgehend verflogen.