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Junge Seelsorgerin unterwegs im Katastrophen-Gebiet an der Ahr

Bad Neuenahr-Ahrweiler – Hilflosigkeit, Erschöpfung und Dankbarkeit. Langsam kommt wieder so etwas wie Alltag in ihr Leben. Johanna Becker ist angehende Pastoralreferentin im Dekanat Ahr-Eifel und seit der Nacht vom 15. auf den 16. Juli geht sie als Seelsorgerin durch die zerstörten Orte, spricht mit Menschen, die alles verloren haben, mit Helferinnen und Helfern, die am Ende ihrer Kräfte sind und organisiert die Ausgabe von Spenden im Zelt „Kirche hilft“.

Die 28-Jährige lebt seit drei Jahren in Sinzig. Ihre Wohnung blieb verschont; Wasser und Strom waren nach wenigen Tagen wieder da. „Der erste Tag war reines Chaos“, erinnert sie sich. Trotzdem meldet sich Becker umgehend als Zusatzkraft bei der Notfallseelsorge. Da sie die Region kennt, wird sie einer ausgebildeten Notfallseelsorgerin aus Simmern zur Seite gestellt. Gemeinsam gehen sie durch die Straßen, hören zu, sehen Tränen und Fassungslosigkeit.

Bereits ab dem zweiten Tag strukturiert sich der Alltag in der Katastrophe: Die Lagebesprechung des eingerichteten Arbeitskreises „Kirche hilft“ beginnt um 9 Uhr. Anschließend geht es zum Zelt am Adenbachtor, das der Arbeitskreis zusammen mit der Junggesellen-Schützen-Gesellschaft „St. Lambertus“ aufgebaut hat. Dort sortiert und verteilt Johanna Becker Spenden, schreibt Dienstpläne, koordiniert und vernetzt Hilfsangebote. Sie gibt ermutigende Worte zwischen Tür und Angel: „Machen Sie Pausen! Halten Sie durch!“ Oder sie führt längere seelsorgerische Gespräche; zwischen fünf bis zehn am Tag. „Da war ein Mann, der hat mich einfach angeschaut und fing gleich zu weinen an“, berichtet sie. Nach dem Gespräch am Adenbachtor hat Johanna Becker ihn noch einmal besucht, um zu schauen, wie es ihm geht.

„Momentan braucht es einfach nur ein offenes Ohr“, sagt Becker. Sie hat in ihrer Ausbildung ein pastoralpsychologisches Curriculum durchlaufen und wurde in diesem Zusammenhang für Trauer- und Seelsorgegespräche geschult. „Viele brauchen jemanden, bei dem sie einfach mal weinen dürfen.“ Viele Menschen sind nach tagelanger harter Arbeit mit ihrer Kraft am Ende. Sie hatten über Stunden Todesangst, haben Angehörige und ihre Existenzgrundlage verloren.

Die Frage nach dem Warum?

Die Frage, warum Gott so etwas zulasse, hat sie bisher nur einmal gehört, aber sich selbst oft gestellt. Eine Antwort hat sie nicht. Das gelte es auszuhalten, auch wenn ein junger Mann ihr die Frage unter Tränen gestellt habe. Sie wird stets mit den Themen Hilflosigkeit und Erschöpfung konfrontiert, aber auch mit viel Dankbarkeit für die Solidarität. „Die Menschen sind gerührt, wenn Wildfremde vor ihrer Tür stehen und helfen wollen. Doch viele Helferinnen und Helfer merken erst, worauf sie sich eingelassen haben, wenn sie hier sind“, lautet ihr Eindruck. Auch für die hat sie ein offenes Ohr.

Und immer wieder hört sie den Satz: „Wir leben noch“, sowie viele konkrete und dramatische Berichte der Anwohnerinnen und Anwohner über die Nacht als das Wasser kam. Wie geht die Pastoralassistentin selbst damit um? „Ich weine auch mal selber und wenn ich nach Hause komme, bin ich echt fertig“, gibt sie ganz offen zu. In ihrem Team achten sie aufeinander, legen Pausentage ein und können auf die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen aus dem Bistum Trier zählen. Auf die nächsten Wochen gesehen, wird es erst einmal so weiterlaufen. Nach der ersten Akuthilfe folgen Trauerbegleitung und die Gestaltung einer Gedenkkultur.

Johanna Becker appelliert, keine Sachspenden mehr ins Ahrtal zu liefern. Auch die Kreisverwaltung Ahrweiler bittet davon abzusehen. „Was wir wirklich brauchen, sind Geldspenden“, sagt sie und verweist auf das Spendenkonto des Bistums Trier und der Caritas sowie weitere Spendenmöglichkeiten vor Ort.