Kategorien
Top-Themen

„Ich finde dafür keine Worte“ – Es sah aus wie nach einem Krieg

Kordel – Pfarrer Mario Kaufmann fährt auf der kleinen Landstraße Richtung Kordel, es geht durch schattigen Laubwald, immer entlang der Kyll. Der kleine Nebenfluss der Mosel, der in Belgien entspringt und durch die Eifel fließt, plätschert harmlos vor sich hin. Eine Woche zuvor haben seine Wassermassen das Dorf Kordel und den Trierer Stadtteil Ehrang überrollt, Autos weggedrückt, Mauern eingerissen, Keller und Häuser geflutet – Existenzen zerstört. „Geblieben ist der nach Heizöl stinkende Schlamm, ganz viel Zerstörung und auch Fassungslosigkeit“, sagt Kaufmann.

Als die Kyll nie gekannte Höchstpegelstände im zu seiner Pfarreiengemeinschaft gehörenden Kordel erreicht, ist Kaufmann gerade zu Besuch bei seinen Eltern in der Nordeifel. „Dort haben wir schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt, weil der kleine Dorfbach stark anstieg“, erinnert sich Kaufmann. Spät abends erreichen den Pfarrer die ersten Nachrichten seiner Mitarbeiterinnen aus Kordel: „Da gingen die Sorgen los, ich konnte mir anhand der ersten Bilder im Fernsehen ausmalen, wo das Wasser steht, dass es in unserer Kita und im Pfarrhaus ist, dass der ganze Ortskern überflutet ist.“ In Kordel habe es immer mal wieder Hochwasser gegeben, vor allem durch den Welschbilliger Bach, der durch den Ort zur Kyll fließt, aber „in diesem Ausmaß – das hat es noch nie gegeben“. Kaufmann fährt am nächsten Tag zurück nach Kordel und versucht, Bekannte und Mitarbeitende zu erreichen. „Das war nicht so einfach, da niemand Strom hatte und über Handy zunächst keiner erreichbar war.

Es war wirklich eine Katastrophen-Situation. Ich wusste auch nicht, wo unsere Leute aus dem Seniorenheim geblieben waren.“ Nach Kordel hineinfahren sei nicht möglich gewesen, Zufahrtsstraßen seien wegen mehrerer kleiner Erdrutsche gesperrt gewesen – Kordel in seiner engen Talmulde war von der Außenwelt abgeschnitten.

Vor Kaufmann taucht just in diesem Moment auf der Landstraße ein großer Bagger auf, der die Reste eines solchen Erdrutsches – lose rote Brocken von Buntsandstein – zur Seite schiebt. Er passiert das Ortseingangsschild von Kordel; die ersten Räumungs- und Müllfahrzeuge kommen ihm entgegen. „Kordel ist sehr familiär und nachbarschaftlich organisiert, das habe ich auch sonntags am Telefon schon von vielen gehört, als wieder mehr Kontakt möglich war“, erzählt Kaufmann.

Ein Heer von Rettungskräften packte mit an, sogar aus Baden-Württemberg oder der Pfalz. in den ersten Tagen hätten viele Betroffene nicht einmal daran denken können, ihre Keller auszupumpen, da das Wasser noch zu hoch stand, erst sukzessive sei das Straße um Straße geschehen. „Und dann sah es aus wie nach einem Krieg – überall standen meterhoch die Sperrmüllberge mit Dingen, die den Menschen vorher lieb und teuer waren.“ Als Kaufmann jetzt die Ortsmitte kreuzt, sieht man davon nicht mehr viel. „Es ist Wahnsinn, wie viel schon abtransportiert wurde. Natürlich kommen immer wieder neue Müllhaufen hinzu, wenn Leute jetzt anfangen, Verkleidungen oder Wände abzuklopfen.“ Der Pfarrer parkt vor der katholischen Kindertagesstätte Sankt Amandus, die an das Pfarrhaus grenzt, in dem eine syrische Familie wohnt. Sie haben keinen Strom und kein warmes Wasser, da der Heizöltank im Keller beschädigt wurde.

Kaufmann trifft sich mit einem Elektriker und einem Experten für Ölheizungen. Anschließend wirft er einen Blick in die komplett leer geräumte Kita, die fleißige Helfer schon von Wasser und Müll befreit haben. Im Garten der Kita eine betonharte Schlammkruste, der Spielturm hängt schief in den Angeln; andere Geräte und Spielzeug schwemmte das Wasser einfach weg. „Man kann sich nicht vorstellen, welche Kraft das Wasser gehabt haben muss, aber hier hat es sogar eine stabile Mauer eingerissen.“ Kaufmann deutet auf einen Geröllhaufen, aus dem noch die Nest-Schaukel der Kinder herausragt, ein paar Tomaten aus einem benachbarten Gemüsegarten haben sich im Netz verfangen. Er könne sich nicht ausmalen, was die Behebung all dieser Schäden kosten wird, sagt Kaufmann kopfschüttelnd. Bei den strengen Auflagen für Kitas müsse der komplette mit Heizöl kontaminierte Boden ausgebaggert und ersetzt werden, ganz zu schweigen von den Schäden im Gebäude.