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LSB-Bestands-Erhebung: Großvereine leiden besonders unter Corona

Region/Mainz – Dass das Corona-Jahr 2020 gravierende Spuren bei den rheinland-pfälzischen Vereinen sowie den Fachverbänden hinterlassen würde, war klar. Die aktuelle Bestandserhebung des Landessportbundes unterfüttert dies nun mit Zahlen, Daten und Fakten. Genau 1.344.127 Mitgliedschaften meldeten die 5.931 Mitgliedsvereine ihrem Dachverband. Dies sind genau 54.093 Vereinsmitgliedschaften weniger als ein Jahr zuvor und entspricht einem historischen Rückgang von 3,87 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dieser Prozentwert entspricht ziemlich exakt auch dem nationalen Vergleich – der DOSB spricht von rund einer Millionen weniger Vereinsmitgliedschaften.

In der Bestandserhebung sind alle Vereinsmitgliedschaften zum Stichtag 1. Januar 2021 erfasst. Die Zahl der Sportvereine im Land ging um 51 Vereine zurück. 5.931 Vereine bedeuten den niedrigsten Wert seit 1992. Auch der Organisationsgrad, also der Anteil der Rheinland-Pfälzer*innen, die als Mitglied in einem Sportverein registriert sind, ist coronabedingt mit 39,79 Prozent um einen guten halben Prozentpunkt gesunken. „Der organisierte Sport bleibt in Rheinland-Pfalz eine unverzichtbare gesellschaftliche Kraft, hat aber die Corona-Auswirkungen – wenig überraschend – deutlich zu spüren bekommen“, kommentiert LSB-Präsident Wolfgang Bärnwick. „Mit Blick darauf, dass der Vereinssport in den vergangenen Monaten über lange Zeit nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich war, danken wir einer überwältigenden Mehrheit der Sporttreibenden, dass sie ihren Vereinen treu geblieben sind.“ Laut Bärnwick handelt es sich beim Sport nach wie vor um die größte und mitgliederstärkste Bürgerbewegung im Land. Dies sei ein Verdienst aller Personen, die sich in der Regel ehrenamtlich und nicht selten mit jeder Menge Herzblut als Trainer*innen, Übungsleiter*innen, Coach, Betreuer*innen, Abteilungsleiter*innen oder Vorstandsmitglieder in den Vereinen und Verbänden einbringen und so Jahr für Jahr unzählige Stunden in ihr Hobby investieren. Zahlreiche Sportvereine haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt und während der Pandemie mit alternativen Konzepten ihre kreative Ader unter Beweis gestellt. Online-Übungsstunden oder -Seminare sind vielerorts selbstverständlich geworden, diverse Vereine haben nicht zuletzt dank maßgeschneiderter digitaler Tools schon mindestens eine Jahreshauptversammlung online abgehalten.

Entwicklung könnte sich noch verschärfen

Nicht zuletzt aufgrund der komplett weggefallenen Neuanmeldungen in den Vereinen – etwa für Kursangebote – ist allerdings die Gesamtzahl so tief wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. 1992 hatten die Statistiker 1,337 Millionen Mitglieder im organisierten Sport in RLP ermittelt. „Angesichts der fortgesetzten Einschränkungen könnte es sein, dass sich diese Entwicklung im zweiten Quartal 2021 noch weiter verschärfen wird“, konstatiert auch Monika Sauer, Präsidentin des weiterhin mitgliederstärksten Sportbund Rheinland. Und auch der Präsident des Sportbundes Rheinhessen, Klaus Kuhn, hat nach eigener Aussage „keine große Hoffnung“ auf eine Besserung noch in diesem Jahr – im Gegenteil: „Je länger die Menschen keinen organisierten Sport treiben dürfen, desto mehr Verluste müssen wir verkraften.“

„Problematisch“, so LSB-Hauptgeschäftsführer Christof Palm, „ist dabei, dass die Mitgliederrückgänge die finanzielle Basis des Vereinssports teilweise dramatisch schwächen. Wir sind überzeugt, dass die meisten Sportvereine diese Entwicklung langfristig einigermaßen kompensieren werden. Aber in der aktuellen Situation hätten sie zusätzliche öffentliche Unterstützung benötigt, mittelfristig insbesondere zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit, längerfristig zur Mitgliederbindung und -gewinnung, weshalb wir uns auch bei der Landesregierung für finanzielle Unterstützung einer Mitgliedergewinnungskampagne einsetzen“.

Besonders die Rückgänge beim Nachwuchs alarmieren

Alarmierend sind insbesondere die Rückgänge im Kinder- und Jugendbereich. Auffällig ist, dass der Großteil des Mitgliederrückgangs – nämlich mehr als 30.000 Mitgliedschaften – im Altersbereich von 0 bis 18 Jahren zu verzeichnen ist. „Die Zahlen zeigen ein besorgniserregendes Bild, hier müssen wir mit einer Mitgliedergewinnungskampagne ansetzen, Vereine und Familien unterstützen, dass die Kinder und Jugendlichen wieder schnell den Weg in die Sportvereine finden“, kommentiert Palm. Die Zahlen resultieren insbesondere aus geringeren Neueintritten, etwa bei den 0- bis 6-Jährigen. Hier zeigt sich auch der prozentual größte Rückgang mit fast 18 Prozent (13.802 Mitgliedschaften), da für sämtliche Kleinkindgruppen coronabedingt keine Anmeldungen möglich waren. Allerdings stellt die Gruppe der 0- bis 6-Jährigen mit 65.232 nur fünf Prozent der LSB-Mitgliedschaften und ist die kleinste aller sieben Altersgruppen. Die größte Gruppe stellen mit 350.921 oder 26 Prozent die 41-60-Jährigen, hier gab es denn auch mit 14.021 Austritten (3,84 Prozent) die – in absoluten Zahlen gerechnet – größten Verluste. Auch alle anderen Gruppen fuhren Verluste ein: Die 7- bis 14 Jahre alten Schüler*innen (minus 12,674 oder minus 5,64 Prozent) ebenso wie die Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren (minus 3.737/minus 3,96), die Jugendlichen im Alter von 19 bis 26 Jahren (minus 5.453/minus 3,97) sowie die Mitglieder im Alter von 27 bis 40 Jahren (minus 6.289/minus 3,03). Abweichend vom allgemeinen Trend ist die Entwicklung der Mitgliederzahlen bei der Ü60-Gruppe. Diese Gruppe ist die einzige, die sich auf nahezu identischem Vorjahresniveau bewegt – und sogar einen leichten Zuwachs verbucht. 291.086 Mitgliedschaften und damit immerhin 1.883 Mitglieder mehr als in der Vorjahresstatistik zählt der LSB in dieser Altersklasse – plus 0,65 Prozent. Damit ist mehr als jede/r fünfte Vereinssportler*in in RLP über 60.

Mehr als die Hälfte der Vereine geschrumpft

Fast 60 Prozent der Vereine sind geschrumpft, bei zehn Prozent sind die Zahlen konstant geblieben – aber 30 Prozent konnten sogar Mitglieder hinzugewinnen. Die Vereinsgröße spielt dabei eine entscheidende Rolle. Häufig mit eigenen Sportstätten und festangestellten Mitarbeitenden ausgestattet, leiden Großsportvereine nicht nur finanziell stärker unter der Krise als andere. Sie sind auch überproportional stark von Mitgliederverlusten betroffen. Während kleinere Vereine (bis 100 Mitglieder) im Schnitt 0,5 Prozent verlieren, was nahezu der Entwicklung der Vorjahre entspricht, kann man sagen: je größer der Verein, desto größer der prozentuale Verlust. Die Großvereine (über 1.000 Mitglieder) sind mit sechs Prozent im Schnitt dabei – in Einzelfällen auch bis zu 15 Prozent Verlust. Im Zusammenspiel mit den weiterlaufenden Betriebskosten für vereinseigene Sportinfrastruktur gestaltet sich die Finanzsituation für diesen Vereinstyp entsprechend kritisch. Zu den Vereinen mit den höchsten Rückgängen zählen insbesondere auch solche, die sehr stark als Dienstleister agieren – und möglicherweise weniger stark als klassischer Ort der Gemeinschaft wahrgenommen werden. So verlieren Vereine, die in der Vergangenheit in größerem Umfang Mitglieder über Kurssysteme oder Fitnessstudio-Angebote gewinnen konnten, deutlicher. Ohne Möglichkeit der Angebote fehlen die Eintritte bzw. treten Mitglieder schneller aus als in Klubs, die sich im Wesentlichen über Mannschaftssport – hier ist die Mitgliederbindung deutlich größer – definieren. Das gleiche gilt für Vereine, die intensiv in der Jugendarbeit tätig sind. Normalerweise profitieren sie stark davon, dass Kinder nachkommen. Das funktioniert aktuell nicht. Weil der Vereinsbetrieb über mehrere Monate geruht hat. Dadurch ist der normale Vereinsfluss – Austritte und Eintritte gleichen sich in etwa aus – unterbrochen.

58 von 72 Fachverbänden quittieren Verluste

58 der 72 rheinland-pfälzischen Fachverbände haben Mitglieder verloren. Deutlich zu erkennen ist, dass sich die Fachverbände bzw. Sportarten, die auch während des Lockdowns lange Zeit möglich waren – da überwiegend im Freien und als Individualsport durchführbar – am positivsten entwickelt haben. Genannt seien hier Tennis, Golf oder Radsport. Signifikant schlechter sieht es derweil bei den Kontaktsportarten aus. Judo, Ju-Jutsu, Karate und Co. eignen sich nicht, um Abstandsgebote einzuhalten. Aber auch Ski oder Schwimmen sind stärker von Mitgliederrückgängen betroffen als der Durchschnitt. Kritisch gestaltet sich die Entwicklung aber auch gerade im Behinderten- und Rehabilitationssport – der Behinderten- und Rehasportverband RLP hat fast 29 Prozent seiner Mitglieder verloren. Die Fachverbände mit den größten Verlusten in absoluten Zahlen sind Turnen (minus 17.706), Fußball (minus 11.893), Behinderten- und Rehasport (minus 4.907), Leichtathletik (minus 3.421), DLRG (minus 1.956) und Handball (minus 1.598) – dagegen haben Tennis (1.550), Golf (347), Alpenverein (201), Luftsport (125), Radsport (123) und Bogenschießen (96) hier die meisten Neueintritte zu verzeichnen.

„König Fußball“ trotz Verlusten weiter klar die beliebteste Sportart

Bei den beliebtesten Sportarten nimmt „König Fußball“ unverändert mit riesigem Vorsprung die Spitzenposition ein. Die beiden rheinland-pfälzischen Fußballverbände zählen 390.396 Mitgliedschaften – haben damit jedoch auch 11.893 Mitgliedschaften gegenüber dem Vorjahr (2,96 Prozent) eingebüßt. Die Turner*innen, die von 2016 auf 2017 um fast 8.000 Mitgliedschaften zugelegt hatten, belegen Platz zwei (291.493 Mitgliedschaften/minus 17.706) vor Tennis (79.082/plus 1.550), Leichtathletik (51.998/minus 3.421) und Schießen (46.100/minus 742). Damit weist von den TOP 5 Tennis mit 2,00 Prozent den größten Zuwachs auf, während Turnen (minus 5,73 Prozent) und vor allem Leichtathletik (minus 6,17 Prozent) die höchsten Einbüßen an Mitgliedschaften quittieren mussten. Bei den mitgliederstärksten Vereinen behaupten die „üblichen Verdächtigen“ ihre Spitzenplätze. Der vierfache deutsche Meister und zweimalige DFB-Pokalsieger 1. FC Kaiserslautern hat nach den auch im vergangenen Jahr meist eher mauen Darbietungen seiner Profi-Fußballer 661 Mitglieder verloren (16.376 statt zuletzt 17.037/-3,88 Prozent). Die Mitgliederzahl der sportlich wie wirtschaftlich grundsoliden Erstliga-Fußballer von Mainz 05 ist trotz Corona und seiner Folgen „nur“ um 1,87 Prozent bzw. 230 Personen geschrumpft (12.059 statt 12.289). Der lange Zeit größte Mehrsparten-Breitensportverein des Landes TSV Schott Mainz, der vor ein paar Jahren einen enormen Aufschwung genommen hatte, hat gegenüber dem Vorjahr erneut 458 Mitglieder eingebüßt und ist in der RLP-Rangliste damit auf Platz sieben abgerutscht. Am TSV Schott ist nun neben dem vorderpfälzischen Großverein TSV Speyer auch der Schwimmverein Freibad Gimbsheim vorbeigezogen, der trotz bzw. gerade wegen Corona seine Mitgliederzahl um 562 von 3.489 auf 4.051 und damit um veritable 16,11 Prozent steigern konnte. Weiter nach oben entwickeln sich wie gehabt die Zahlen beim Deutschen Alpenverein Sektion Mainz mit 7.612 Mitgliedern (plus 208 bzw. 2,81 Prozent) und beim Deutschen Alpenverein Sektion Koblenz mit 6.031 Mitgliedern (plus 26 bzw. 0,43 Prozent). 28 rheinland-pfälzische Sportvereine weisen mindestens 2.000 Mitglieder auf – davon gehören 14 dem Sportbund Rheinhessen, 9 dem Sportbund Pfalz und 5 dem Sportbund Rheinland an.