Jülich, 16.11.2020 – Im Jahr 2020 ist aufgrund der Corona-Pandemie und der zur Eindämmung des Infektionsgeschehens verordneten Maßnahmen vieles anders als sonst. Auch das gemeinsame November-Gedenken und Erinnern an die Geschehnisse unserer Vergangenheit kann nicht im gewohnten Umfang bei Zusammenkünften an unterschiedlichen Orten in unserer Stadt stattfinden.
Dies betrifft leider auch die in jedem Jahr stattfindenden Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag und das gemeinsame Gedenken an die Zerstörung unserer Stadt am 16. November 1944. In diesem Jahr finden daher auf dem Ehrenfriedhof in Jülich, auf den Friedhöfen in den Ortsteilen und am Gedenkstein auf dem Schlossplatz stille Kranzniederlegungen statt.
Heute, am Vorabend des Volkstrauertages, habe ich mich mit einigen wenigen Vertretern auf dem Ehrenfriedhof in Jülich getroffen, um dort in stillem Gedenken die Kränze niederzulegen.
Ich begrüße Sie nun virtuell anlässlich des Volkstrauertags.
Dieser Tag der „nationalen Trauer“ ist den Opfern von Krieg und Gewalt gewidmet und zugleich der Mahnung zu Versöhnung, Verständigung und Frieden.
Wolfgang Schneiderhahn, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. lenkt in seinem diesjährigen Geleitwort den Blick auf den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges:
„Ab dem 8. Mai 1945 schwiegen in Europa die Waffen, vier Monate später dann auch in Asien – endlich. Der Zweite Weltkrieg kostete zwischen 60 bis 70 Millionen Menschenleben, viele von ihnen erst in den letzten Kriegsmonaten.
Diese Toten der letzten Kriegstage wurden bei hastigen Rückzügen oder nach katastrophalen Bombardierungen oft nur notdürftig bestattet oder sie blieben in den Ruinen verschüttet. Noch heute werden sie gefunden, geborgen und auf Kriegsgräberstätten umgebettet. Noch heute bekommen ihre nunmehr selbst schon betagten Kinder und Enkelkinder Gewissheit über den Todesort ihrer Verwandten.
Von Berlin aus wurde dieser Vernichtungskrieg mit seinen beispiellosen Verbrechen gegen die Menschheit bereits lange vor 1939 geplant und ohne jede Rücksicht losgetreten. Und bis hierhin, gewissermaßen bis zum letzten Meter dieser schon weitgehend verwüsteten Hauptstadt, mussten die Alliierten in einem immensen Kraftakt die nationalsozialistische Aggression zurückschlagen.
Bis zuallerletzt wurden Juden, Sinti und Roma oder Zwangsarbeiter auf Todesmärschen umgebracht, inhaftierte NS-Gegner, aber auch viele einfache Soldaten und Zivilisten wegen angeblicher „Wehrkraftzersetzung“ noch hingerichtet. Daher war das Kriegsende für die überlebenden NS-Verfolgten in einem existenziellen Sinne eine Befreiung. Nicht wenige waren in Deutschland trotz ihrer ungewissen Zukunft erleichtert über das Ende der furchtbaren Bombennächte und aussichtslosen Kämpfe.
So gewaltvoll dieser Krieg in Deutschland endete, war er doch die Folge eines erbarmungslosen Machtanspruchs, der von weiten Teilen zuvor bejubelt worden war. Und der noch viel größere Verheerung über den Kontinent gebracht hatte: in Rotterdam und Coventry, in Distomo, Fivizzano oder der Finnmark sowie am schlimmsten in Mittel- und Osteuropa.
Gerade in diesem Teil Europas bedeutete das Kriegsende kein sofortiges Ende der Gewalt. Flucht und Verfolgung trafen nun Deutsche ebenso wie viele andere Menschen in der Region. Ganze Landstriche blieben lange versehrt. Unter der europäischen Teilung im Kalten Krieg litten die Menschen in Mittel- und Osteuropa abermals besonders schwer.
Der 8. Mai 1945 war zugleich der Beginn eines Aufbruchs, wenn auch zaghaft und entbehrungsreich. So entwickelte sich in Westeuropa ein einmaliges Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsmodell. Der Weg im Osten war steiniger, erst die weitgehend friedlichen Revolutionen von 1989 und die europäische Integration überwanden diese Trennung. Allerdings rissen nun lang unterdrückte historische Wunden wieder auf, es kam zu einem neuen alten Krieg auf dem Balkan. Seit 2014 findet ein Krieg – oftmals vergessen – mitten in Europa, in der Ukraine, statt.
Die Generation, die die ersten schweren Schritte zum europäischen Wiederaufbau gegangen ist, hat den Krieg noch in jungen Jahren erlebt. Angst vor Tod und Verfolgung, Zerstörung und Hunger, der Verlust von oft weit entfernt und einsam verstorbenen Angehörigen – das waren die Erfahrungen einer ganzen Generation.
Diese Menschen wissen, was Krieg, aber auch was Frieden und Freiheit bedeuten und wie Zusammenhalt durch Zeiten voller Not führt. Gerade in diesem Gedenkjahr zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, im Zeichen der Corona-Pandemie, sollten wir ihnen beistehen und zuhören, so gut es bei den notwendigen Beschränkungen geht. Ihre Erinnerungen an jüngere Generationen weiterzugeben, könnte nicht friedensstiftender sein und ist uns Auftrag an diesem Volkstrauertag und darüber hinaus.“
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diese Themen immer wieder öffentlich zu machen und diesen Dialog fortzuführen.
In diesem Corona-Jahr 2020 ist das gemeinsame Erinnern und Gedenken schwierig. Mit Ihrem Interesse und Ihrer Aufmerksamkeit, sind Sie dennoch Teil dieses Dialogs geworden. Sie gehören damit zu den Menschen, denen bewusst ist, dass die Erinnerung eine wichtige Voraussetzung für eine friedliche Gegenwart und Zukunft ist.
Dafür danke ich Ihnen herzlich!
Aufgrund der Corona-Pandemie erfolgte die stille Kranzniederlegung im kleinen Kreis am Samstag, 14.11.2020 um 16.00 Uhr auf dem Ehrenfriedhof Jülich.Teilnehmende u.a.:
Bürgermeister Axel Fuchs
Beigeordneter Martin Schulz
Pfarrer Konny Keutmann
Oberstleutnant Michael Kommoss, Bundeswehr
Harald Bleser, Sozialverband VdK
